Was tun, wenn das Kreuz wehtut? Diese Frage stellt sich fast jeder Deutsche im Laufe seines Lebens. Denn Rückenschmerzen sind die Volkskrankheit Nummer eins.
Dennoch kursieren in den Köpfen der Menschen und im Internet viele Fehlinformationen und das hat Folgen. „Patienten mit Rückenbeschwerden sind oft von Ängsten geplagt“, berichtet Prof. Joachim Grifka, Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Regensburg im Asklepios Klinikum Bad Abbach. „Selbst bei banalem Rückenschmerz haben viele Menschen Angst, dass es etwas Schlimmes sein könnte oder sie gar im Rollstuhl landen. Zudem besteht eine große Furcht vor Bandscheibenvorfällen, denn damit verbinden die meisten Menschen die Notwendigkeit einer Operation und haben Schreckensbilder von Komplikationen vor Augen.“ Doch gerade wenn es um den Rücken geht, sind solche Sorgen in den meisten Fällen überflüssig. Oft ist nicht mal ein Arzt nötig, um wieder schmerzfrei zu werden. „Und jeder kann selbst viel dafür tun, dass es erst gar nicht zu Beschwerden kommt“, betont der renommierte Orthopäde.
Rückenschmerzen sind meist ungefährlich
Eine ungünstige Verdrehbewegung, zu ruckartiges Anheben eines Getränkekastens und schon „schießt die Hexe ins Kreuz“. Dann führt jede kleinste Bewegung zu heftigen, manchmal stechenden Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule. „Doch selbst beim Lumbalsyndrom ist der Auslöser oft banal. In aller Regel sind Rückenbeschwerden harmlos. Zumindest so lange, wie sich der Schmerz nur auf den Rücken beschränkt und nicht in die Beine ausstrahlt“, beruhigt Prof. Grifka. Selbst anhaltende Rückenschmerzen hängen nur selten mit ernsten Schäden an der Wirbelsäule zusammen. In 90 von 100 Fällen sind es blockierte Wirbelgelenke, muskuläre Verspannungen und/oder verfilzte Faszien, die Probleme machen. Aber wie kommt es dazu? Die Ursachen sind vielfältig: So kann Stress den Rücken in Dauerspannung versetzen. Andere Menschen haben eine schwache Rumpfmuskulatur, die mit ungewohnten Bewegungen oder Belastungen nicht zurechtkommt – etwa beim Gärtnern oder wenn man im Homeoffice völlig unergonomisch am Küchentisch arbeitet.
Man muss nicht gleich zum Arzt
Verständlich, dass man bei heftigen Beschwerden glaubt, sofort die Hilfe eines Orthopäden zu brauchen, um Schlimmeres zu vermeiden. Doch die meisten Schmerzen klingen innerhalb von sechs bis acht Wochen wieder ab und bedürfen nicht unbedingt ärztlicher Behandlung. Anders sieht es allerdings aus, wenn die sogenannten Rote-Flagge-Symptome auftreten: Das sind beispielsweise Schmerzen, die vom Rücken ins Bein ausstrahlen. Sie sind meist im Ober- und Unterschenkel, manchmal bis in den Fuß spürbar und können sowohl hinten wie seitlich ins Bein hinunterziehen, ebenso an der Vorder- oder Innenseite. „Wenn zugleich eine Muskelschwäche auftritt, muss möglichst umgehend behandelt werden. Ebenso dürfen Lähmungen nicht ignoriert werden – auch nicht, wenn der Schmerz nachlässt“, warnt der Orthopäde. Denn dann drohen Nerven abzusterben. Das kann unumkehrbare Folgen haben, etwa einen hängenden Fuß, der beim Gehen hindert.
Wer weiß, wie die Pein im Rücken an der Wurzel zu packen ist, wird sie schneller los – und dazu braucht es gar nicht viel. „Im Akutfall tut eine Entlastungshaltung besonders gut, bei der die Lendenwirbelsäule gestreckt wird“, weiß Joachim Grifka. So funktioniert sie: Flach auf den Rücken legen, am besten auf eine warme Decke. Die Beine so anstellen, dass die Hüfte gebeugt ist und die Lendenwirbelsäule dadurch gerade und entspannt am Boden liegt. „Ein gutes Hausmittel ist auch Wärme. Sie sorgt für eine Mehrdurchblutung der Muskulatur und damit für ihre Entspannung. Persönlich empfehle ich gern ein warmes Bad, weil diese Wärme sehr gut in die Tiefe des Körpers geht“, so Prof. Grifka. „Mit rezeptfreien Schmerzmitteln kann man dem Schmerz die Spitze nehmen.“ Da diese Medikamente unter anderem Nebenwirkungen für den Magen haben können, sollte man sie jedoch mit einem Magenschutz und nur nach Absprache mit dem Arzt länger einnehmen. „Es macht aber keinen Sinn, Schmerzmittel zu nehmen und dann genauso weiterzumachen wie zuvor, etwa mit Arbeiten oder rückenfordernden Freizeitaktivitäten“, betont Joachim Grifka. Bewegung ist die beste Medizin Sehr sinnvoll ist dagegen, sich bei Rückenschmerzen nicht ins Bett zu legen, sondern in Bewegung zu kommen. Mit sanften Dehnungsübungen können dann sogar blockierte Wirbelgelenke wieder gleiten. Mit Bewegung ist allerdings kein Sport gemeint, sondern gemütliches Spazierengehen. „Wer Beschwerden hat, muss die körperliche Belastung auf den schmerzfreien Bewegungsraum beschränken“, warnt Joachim Grifka. „Wer mit Schmerzen trainiert, verschlimmert die Symptomatik.“ Guter Schlaf gehört ebenfalls zum Relax-Programm für den Rücken. Prof. Grifka erläutert, warum er so wichtig ist: „In der Senkrechten – also im Sitzen, Stehen und Gehen – sind unsere Rumpfmuskeln ständig angespannt, weil sie die beweglichen Wirbelkörper mit den Bandscheiben stabilisieren müssen. Im Liegen lastet dagegen kein Druck auf der Wirbelsäule.“ Dann lässt nicht nur die Rumpfmuskulatur locker. Auch die Bandscheiben, die die Stoßdämpfer der Wirbelsäule sind, regenerieren. Sie bestehen aus einem faserigen Bindegewebsring, gefüllt mit weichem Gallert, das zum überwiegenden Teil aus Wasser besteht. Sind wir tagsüber in Bewegung, wird die verbrauchte Flüssigkeit aus dem Inneren herausgepresst. Im Liegen saugt sich die weiche Masse ähnlich wie ein Schwamm wieder auf.
Eine gute Haltung beugt Schmerzen vor
Laut Aktion Gesunder Rücken e. V. (AGR) klagen 44 Prozent der Menschen mit einem Bürojob mindestens einmal pro Woche über Kreuzweh. Eigentlich kein Wunder, denn im Sitzen ist der Druck, der auf den Bandscheiben lastet, fast doppelt so hoch wie beim aufrechten Stehen. Doch die Beschwerden lassen sich vermeiden – durch einen ergonomischen Arbeitsplatz, bei dem sich Schreibtischstuhl und idealerweise auch Schreibtisch an die individuelle Größe anpassen lassen. „Bei der Einstellung kann man sich wieder daran orientieren, dass die Lendenwirbelsäule möglichst gerade sein soll“, so Joachim Grifka. Auch der Wechsel zwischen Sitzen und Stehen kann den Rücken entlasten. „Achten Sie beim Arbeiten im Stehen aber darauf, dass Sie einen Fuß höherstellen können. Denn bleiben beide Füße am Boden, neigt sich das Becken etwas nach vorn, was die Lendenwirbelsäule ins Hohlkreuz drängt.“ Diese Position überlastet die kleinen Wirbelgelenke der Wirbelsäule, was mit der Zeit womöglich Einengungen im Wirbelkanal nach sich zieht.
Vergessen Sie auch nicht, sich immer wieder am Computer zu bewegen: aufstehen, ein paar Schritte gehen, sich genüsslich strecken, den Oberkörper zu beiden Seiten drehen, die Arme ausschütteln, die Schulter kreisen lassen, den Kopf vorsichtig nach beiden Seiten drehen und das Ohr Richtung Schulter kippen. Die beste Strategie gegen Rückenschmerzen? Training der Rumpfmuskeln! Denn sie sind der
Schutzschild der Wirbelsäule. Die kräftigenden Übungen sollten so selbstverständlich sein wie das Zähneputzen. „Wichtig ist dabei, Rücken- und Bauchmuskeln gleichermaßen zu stärken. Denn nur gemeinsam bilden sie ein Muskelkorsett, das dem Rücken Halt gibt“, sagt Prof. Grifka. Entscheidend ist zudem, die Tiefenmuskulatur zu stärken. Sie balanciert den Körper ständig aus und hält uns aufrecht, ohne dass wir es merken. Willentlich lassen sich die kleinen Muskeln um die Wirbelsäule nicht ansteuern, doch sie reagieren auf Balanceübungen – etwa den Einbeinstand: dafür je dreimal zehn Sekunden nur auf dem rechten Fuß und zehn Sekunden nur auf dem linken Fuß stehen. Nach und nach die Standzeit verlängern. Fortgeschrittene können das frei schwebende Bein nach vorn oben anwinkeln und wieder absenken, ohne dass der Fuß den Boden berührt.
Wer effektiv Muskeln aufbauen möchte, sollte die Übungen mindestens zweimal pro Woche machen und jede so lange wiederholen, bis die Anstrengung deutlich spürbar wird. Ideal wäre zudem, sich täglich fünf bis zehn Minuten Zeit für Stretching und die Mobilisation der Wirbelsäule zu nehmen. Denn bereits ab dem 25. Lebensjahr wird unser Körper unbeweglicher und jenseits der 50 verstärkt sich die Steifigkeit immer schneller.
Verschleiß muss nicht wehtun
Dass sich die Wirbelsäule im Laufe der Jahre etwas abnutzt, ist nicht krankhaft. Das gehört genauso zum Leben wie Haare, die grau werden. „Bei Menschen über 60 sind beispielsweise meist die Bandscheiben der unteren Lendenwirbelsäule ausgetrocknet und dadurch flacher“, weiß Prof. Grifka. Der Körper ist jedoch durchaus in der Lage, sich an diesen Verschleiß anzupassen – vorausgesetzt, man geht pfleglich mit sich um. Deshalb gibt es Menschen, die keine Beschwerden haben, aber deren Röntgen- oder MRT-Bild Abnutzungserscheinungen zeigt. „Wenn ein Patient Rückenschmerzen hat, darf der Arzt also nicht zwingend davon ausgehen, dass der Verschleiß die Ursache für die Beschwerden ist“, betont der Orthopäde. „Deshalb darf auch nie nur auf Basis eines bildgebenden Verfahrens operiert werden.“ Bei banalen Rückenschmerzen ist das Röntgen in der Regel erst dann sinnvoll, wenn die Beschwerden auch nach mehrwöchiger Therapie nicht verschwinden.
„Nur in wenigen Fällen kann ein Eingriff an der Wirbelsäule sinnvoll sein, beispielsweise wenn es eine konkrete krankhafte Veränderung gibt, die eindeutig die Ursache der Beschwerden ist, oder der Schmerz von Nervenausfällen und Lähmungen begleitet wird“, ordnet der Facharzt für Spezielle orthopädische Chirurgie ein.
Dagegen ist ein Bandscheibenvorfall, der Nerven irritiert, keinesfalls gleich ein Grund zu operieren. „Sofern keine akute Lähmung vorliegt, muss grundsätzlich erst die konservative Behandlung intensiv ausgeschöpft werden.“ Denn selbst bei starken Beschwerden helfen meist individuell abgestimmte, ambulante oder stationäre konservative Therapiekonzepte – dabei steht die Physiotherapie mit Krankengymnastik und verschiedenen manuellen Techniken im Vordergrund. „Der zentrale Punkt, die Rückenbeschwerden in den Griff zu bekommen, ist aber das selbstständige Trainieren einfacher Übungen“, ergänzt Prof. Grifka.
Guter Ratgeber:
Wer Beschwerden im Kreuz vorbeugen möchte oder bereits welche hat, wird in „Rücken“ von Prof. Grifka bestens zur Selbsthilfe angeleitet (Zuckschwerdt Verlag, 20 €).