Mit den Tipps von Physiotherapeutin Gabriele Kiesling ist in bestimmten Fällen auch eine Selbstbehandlung deiner Rückenschmerzen von Zuhause aus möglich. Wichtig ist allerdings ein umfassendes Wissen, das richtige Vorgehen und vor allem, dass deine Schmerzen vorab von einem Arzt kontrolliert wurden. Wie Physiotherapie in den eigenen vier Wänden funktioniert, verrät sie euch in diesem Gastbeitrag.
In meiner über 50-jährigen Berufspraxis als Physiotherapeutin sind mir unzählige »Rücken« begegnet. Nachdem eine neuroorthopädische Ursachenerforschung der Rückenschmerzen erfolgt ist, kann eine gezielte, individuelle Therapie eingeleitet werden. In manchen Fällen ist diese Therapie auch von Zuhause aus möglich, daher habe ich mein langjähriges Fachwissen in der Buchreihe“ Physiotherapie für zu Hause“ veröffentlicht. Mit meinem aktuellen 30-Tage-Programm (www.agr-ev.de/medientipps) für den schmerzfreien Rücken gelangst du Schritt für Schritt zu einer besseren Rückengesundheit. Du solltest allerdings beachten, dass die Art der heimischen Physiotherapie nicht für jeden geeignet ist. Unter bestimmten Umständen bleiben eine Rezeptverordnung und der Besuch eines Spezialisten unerlässlich.
Gesichter der Physiotherapie im Wandel der Zeit
Meine moderne Physiotherapie ist multimodal, also charakterisiert durch mehrere Schritte. Sie zeichnet sich durch aktive und passive Maßnahmen sowie durch lehrende und beratende Inhalte aus. Die Halte- und Bewegungsfunktionen des Körpers sind dabei entscheidender als die ausschließliche Schmerzbetrachtung.
Physiotherapie gegen Rückenschmerzen sollte nach neueren Studien immer lösungs- orientiert und patientenspezifisch ausgerichtet sein. Beispielsweise hat ein Büromensch eine andere Körperform als ein Dachdecker oder ein Personaltrainer. Noch vor 40 Jahren wurden Rückenschmerzen vorwiegend operativ behandelt. Physiotherapie wurde mittels manueller, passiver Intervention verabreicht (Hands-on-Techniken). Später kamen dann Triggerpunktbehandlungen, manuelle Medizin und die Osteopathie hinzu. Es wurde in der Folge viel gedehnt und gekräftigt. Patientenedukation, also die Beratung und Schulung zur Krankheitsbewältigung, hatte keinen Stellenwert; vielmehr wurden bestimmte Verhaltensweisen verboten und Schonung empfohlen.
Ich arbeite seit über 50 Jahren als Physiotherapeutin und habe in meinem Beruf viele dieser Moden und Trends beobachtet. Behandlungserfolge stellen sich aber immer erst dann ein, wenn Patient und Therapeut partnerschaftlich zusammenarbeiten, die gleiche Sprache sprechen und der Behandlungsplan vollständig, verständlich und tagesaktuell modifizierbar ist. So hoffe ich, dass du als Leser motiviert bist, mir auf deinem ganz persönlichen Weg zu folgen und deine Rückenschmerzen hinter dir zu lassen.
Belastung der Lendenwirbelsäule
Gönne deinem Rücken mindestens zweimal am Tag eine Entlastungslagerung im Liegen, um die Bandscheiben wieder zu erfrischen. 15 Minuten sind für diese Maßnahme ausreichend. Vermeide beim Sitzen den Rundrücken und das „Beinehochlegen“, um Spitzenbelastungen im Lendenwirbelbereich zu vermeiden.
Das Balkendiagramm zeigt an, wie hoch die Belastung der jeweiligen Haltungen für die Wirbelsäule ist: Sitzen ist belastender als Stehen. Liegen entlastet die Lendenwirbelsäule entscheidend ( Abb. nach Kiesling).
Dehnen vor Kräftigen!
Der Ruf nach Rückenpower, also Muskelaufbau ist sehr weit verbreitet. Träumst auch du von einem gestärkten Rücken? Dabei solltest du unbedingt folgendes beachten: Vor der Kräftigung steht immer die Schmerzfreiheit, die Wiedererlangung der gesunden Wirbelsäulenfunktion und auch die Dehnung der verkürzten, sogenannten tonischen Muskeln. Erst dann ist isoliertes Krafttraining richtig und zielführend.
Die dunkelblauen Muskeln müssen erst auf ihre Solllänge gedehnt sein, bevor du die Kräftigung der hellblauen Muskeln trainierst. Daher und beispielsweise: Erst die Rückenstrecker dehnen und dann die Bauchmuskeln kräftigen (Abb. nach Kiesling).
So dehnst du deine Muskeln
Drehdehnlagerung
Lege dich mit angebeugten Beinen auf die linke Seite. Strecke das linke Bein lang und halte das rechte Knie etwas fest. Ziehe den rechten gebeugten Arm mit dem Ellenbogen bis hinter deinen Kopf und schaue den Ellenbogen 2-3 Minuten lang an. Dann drehst du dich wieder zurück.
Hüftbeugemuskeln
Unterlagere dein Becken in Rückenlage mit einem Keil- oder Sitzkissen. Lege ein Kissen unter deinen Kopf. Ziehe deinen linken Oberschenkel mit beiden Händen zur Brust und strecke dein rechtes Bein auf der Matte lang aus. Halte die Dehnung für 1 Minute und löse die Beine wieder.
Rückenstreck-Muskeln
Unterlagere dein Becken in Rückenlage mit einem Keil- oder Sitzkissen. Lege ein Kissen unter deinen Kopf. Ziehe mit deinen Händen die Knie für eine Minute lang zur Brust. Der Blick ist zur Decke gerichtet.
Über die Autorin
Gabriele Kiesling ist Physiotherapie- und Faszien-Expertin sowie AGR-Fördermitglied. Seit über 50 Jahren arbeitet sie in eigener Praxis mit Leib und Seele am und mit Patienten auf den Grundlagen der Osteopathie, Neuroorthopädie, Medizinische Trainingstherapie und der TCM. Ihr sind viele innovative Konzepte in der Übungsmethodik zu verdanken. Mit ihrer Fachliteratur für Patienten und Laien ist sie auch Expertin für verstehbare Übungsliteratur. In randomisierten Studien wurde die Wirksamkeit ihrer Übungsmethodik bestätigt. Sie entwickelte die Faszien-Physiotherapie und ist die Begründerin der Buch-Reihe “Physiotherapie für zu Hause“ im riva Verlag München. Als Geschäftsführerin des deutschen institut für qualität in der physiotherapie, Berlin (diqp) ist Gabriele Kiesling Sachverwalterin für Qualitätssicherung in Therapie und Praxis.
Bildrechte: Nils Schwarz