Ein ausreichend starkes Muskelkorsett rund um die Wirbelsäule gilt schon seit vielen Jahren als Garant für einen schmerzfreien Rücken. Doch warum plagen sich dann selbst Bodybuilder mit Kreuzweh herum? Weil es vor allem auch darauf ankommt, welche Muskeln man trainiert. Dr. Reinhard Schneiderhan erklärt das Gesundheitsgeheimnis der Tiefenmuskulatur und gibt die besten Trainingstipps.
Die beste Medizin für den Rücken
Muskeln sind ein echter Geniestreich der Evolution. Sie verleihen den tragenden Elementen unseres Körpers die nötige Stabilität und sind der Motor für jede Bewegung. Je kräftiger sie sind, desto besser schützen sie uns vor Fehlhaltungen und Verschleiß. Die rund 150 großen und kleinen Rückenmuskeln sowie zahlreiche Bänder und Sehnen vertäuen die Wirbelsäule symmetrisch. Ähnlich wie die Seitenzüge einer Takelage den Mast eines Segelbootes.
Bei gut trainierten Sportlern zeichnen sich die Muskeln zum Teil sehr beeindruckend unter der Haut ab. Warum aber selbst äußerlich topfit aussehende Menschen unter Rückenschmerzen leiden können, weiß die Medizin erst seit ein paar Jahren. „Die Muskulatur rund um die Wirbelsäule unterteilt sich in drei Bereiche“, sagt Dr. Reinhard Schneiderhan, Präsident der Wirbelsäulenliga. „In eine obere, eine mittlere und eine untere Schicht. Besonders wichtig in Bezug auf einen gesunden Rücken ist die untere Schicht, die wir als Tiefenmuskulatur oder autochthone Muskulatur bezeichnen.“
Vom Willen unabhängige Muskulatur
Das Besondere an der autochthonen Muskulatur: Sie ist vom Willen unabhängig, arbeitet reaktiv und kann nicht bewusst angespannt werden. Sie balanciert unseren Körper aber ständig aus, ohne dass wir etwas davon merken. „Komplizierte Messungen haben gezeigt, dass sie sich etwa 80 Millisekunden vor der eigentlichen Bewegung anspannen“, sagt der Experte, der in München-Taufkirchen ein auf Rückenschmerzen spezialisiertes medizinisches Versorgungszentrum leitet. „So übernehmen sie die so wichtige stabilisierende Funktion. Aus ebenfalls neuen Untersuchungen wissen wir, dass diese Muskeln bei vielen Menschen zu schwach sind und genau diese stabilisierende Funktion verloren haben. Rund 80 Prozent aller Rückenprobleme sind darauf zurückzuführen.“
Die Tiefenmuskulatur braucht spezielles Training
Doch was verloren gegangen ist, kann man sich auch wieder antrainieren. Das ist keine Herkulesaufgabe. Schon zwei oder dreimal die Woche, 20 bis 30 Minuten, reichen dafür aus. „Allerdings ist dafür ein spezielles Training nötig, denn herkömmliche Kraftübungen haben auf die Tiefenmuskulatur keine ausreichend starke Wirkung “, weiß Dr. Schneiderhan. „Was die autochthone Muskulatur aber mag, sind kleine Drehbewegungen, Balanceübungen und Vibrationen.“
Anfänger starten mit dem Einbeinstand
Wer sich lange nicht sportlich bewegt hat, sollte zunächst mit einfachen Übungen beginnen. Eine tolle Übung ist der Einbeinstand.
- Anfänger starten mit dem Einbeinstand auf festem Untergrund. Jeweils 3 x 10 Sekunden auf dem rechten Fuß und 10 Sekunden auf dem linken Fuß. Die Arme können ausgleichend wirken.
- Nach und nach dann die Standzeit immer weiter verlängern und immer weniger mit den Armen zum Ausgleich arbeiten.
- Fortgeschrittene können auch das freischwebende Bein nach vorne oben anwinkeln und wieder absenken, ohne dass der Fuß den Boden berührt.
- Noch schwieriger wird die Übung mit geschlossenen Augen.
- Wer alle Übungen ohne Probleme beherrscht, kann sich dann auch auf eine instabile Unterlage stellen. Es gibt zahlreiche von der AGR zertifizierte Produkte, die sich dafür eignen.
Viele weitere Übungen für Anfänger und Fortgeschrittene finden Sie hier!
Die Bedeutung der Bauchmuskeln
Da viele Muskeln des Körper im Rahmen einer Muskelkette zusammen arbeiten, spielen auch die Bauchmuskeln eine wichtige Rolle. Sie sind in Sachen Rückengesundheit genauso wichtig, wie die Kehrseite. Sie bestehen aus zwei Gruppen: der geraden und der schräg verlaufenden Muskulatur. Die geraden Muskeln helfen den Rumpf zu beugen. Die schrägen Muskeln wirken direkt auf die Wirbelsäule ein und stabilisieren sie. „Erstaunlicherweise sind selbst bei wenig trainierten Menschen die oberen Rückenmuskeln relativ stark“, sagt Dr. Schneiderhan. „Das liegt allerdings meist am Fehlverhalten im Alltag, durch falsches bücken, heben oder tragen (siehe hier: www.agr-ev.de/blog/expertentipp/haltungsschule). Die Bauchmuskeln hingegen fristen oft ein Schattendasein. Und das kann die Rückenmuskulatur nicht kompensieren. Wer also effektiv Rückenschmerzen bekämpfen und vorbeugen will, muss unbedingt auch etwas für seine Bauchmuskeln tun.
Sit-ups sind out, Planks sind im Trend
Stellt sich dann natürlich die Frage, welche Übungen zur Stärkung der Bauchmuskeln am besten geeignet sind. Über viele Jahre hinweg lautete die Antwort Sit-ups. Doch diese sind mittlerweile ein wenig in Verruf geraten. Das liegt vor allem am Bewegungsablauf. „Man muss die S-förmig geschwungene Wirbelsäule fest in den Boden drücken und macht damit etwas, was dem Rücken nicht besonders gut tut“, sagt der Wirbelsäulenfachmann. „Für gesunde Menschen ist das zwar kein Problem, doch wer bereits Schwierigkeiten hat, sollte die Bauchmuskeln lieber mit Planks trainieren. Sie stabilisieren perfekt die Körpermitte und es kommen viele Muskeln zum Einsatz.“
Und so machen Sie Planks oder Unterarmstütze richtig:
- Planks für Anfänger auf den Knien: Sie begeben sich auf die Knie, führen den Oberkörper möglichst weit nach vorne und stützen sich auf den Unterarmen ab. Hinterkopf, Wirbelsäule und Gesäß bilden eine Linie.
- Fortgeschrittene stützen sich nur auf den Unterarmen und den Fußspitzen ab. Hinterkopf, Ober- und Unterkörper bilden eine gerade Linie. 3 x 30 Sekunden mit jeweils 30 Sekunden Pause sind schon eine tolle Leistung.
- Übrigens: Der Weltrekord liegt bei über 8 Stunden. Das ist zur Nachahmung aber nicht zu empfehlen.